EVER GIVEN – WER ZAHLT DIE RECHNUNG?
Erst legte sich die EVER GIVEN im Suezkanal quer, nun halten die Behörden das Containerschiff, das zu den größten der Welt gehört, mit seiner Ladung von tausenden Containern fest. Hunderte Schiffe stauten sich in der Folge vor den Einfahrten des Suezkanals und konnten ihre Fahrt nicht fortsetzen. Vielen Unternehmen sind durch diesen Vorfall erhebliche Kosten und Schäden entstanden, sei es durch Luftfracht für Ersatztransporte, sei es durch die Verspätung selbst. Wer kommt für diese Kosten auf?
(iStock.com/eyewave)
Die zeitweilige Blockade des Suezkanals durch die EVER GIVEN trifft den weltweiten Handel in einer angespannten Situation. Wegen der in den letzten Monaten aufgrund der Pandemie gestiegenen Nachfrage sind kaum Container verfügbar und die Frachtraten sind in der Folge stark gestiegen. Hierdurch müssen viele Unternehmen ohnehin mit gestiegenen Kosten und Lieferverzögerungen leben. In den ersten Berichten über die Havarie der EVER GIVEN und ihre Folgen ging es fast immer um die unmittelbaren Schäden für die Kanalbehörde, die Eigner und eventuell wartende Schiffe, z.B. durch Bergekosten, die Schäden aus der Blockade des Suez-Kanals durch ausgefallene Nutzungsentgelte, Infrastrukturschäden oder Ansprüche anderer Reeder oder Eigner gegen die Eigner der EVER GIVEN.
Diese Schäden, so hoch sie auch sind, berühren wenige von dem Desaster Betroffene. Für die meisten Unternehmen, deren Waren sich auf der EVER GIVEN oder den wartenden Schiffen befanden oder noch befinden, stellen sich andere Fragen, insbesondere wer die Schäden, die ihnen durch die Verzögerungen entstanden sind, zahlt.
GENERAL AVERAGE
Die Eigner der EVER GIVEN haben am 01.04.2021 General Average erklärt. Unternehmen, deren Ware sich zurzeit auf der EVER GIVEN befindet, sollten inzwischen Post von Richards Hogg Lindley erhalten haben mit der Aufforderung, Sicherheit für den auf sie entfallenden Anteil an den Rettungskosten zu leisten. In der Regel wird diese durch eine Average Guarantee des Transportversicherers gestellt, ohne die die Ware bei Ankunft im Hafen nicht herausgegeben wird.
Die General Average ist ein Verfahren, mit dem Schäden und Kosten, die der Kapitän eines Schiffes vorsätzlich verursacht hat, um Schiff und Ladung aus einer gemeinsamen Gefahr zu retten, auf das Schiff und die Berechtigten an der Ladung verteilt werden. Die Eigner werden hier also versuchen, die Kosten, die für die Bergung des Schiffes aufgewandt wurden, anteilig von den Ladungsbeteiligten zurückzufordern.
Die genaue Ursache, die zur Havarie der EVER GIVEN geführt hat, ist noch ungeklärt. Sollte die Ursache auf ein Verschulden der Eigner zurückzuführen sein, könnten diese nach deutschem Recht zum einen keinen Ersatz für ihren Schaden verlangen, zum anderen wären sie den anderen Beteiligten für deren Beiträge schadenersatzpflichtig. Das ist bei der Anwendbarkeit anderer Rechtsordnungen häufig nicht der Fall. Es bleibt daher abzuwarten, ob Einwendungen gegen die General Average erhoben werden können.
SCHADENERSATZANSPRÜCHE
Durch die Havarie dürften den allermeisten Unternehmen, deren Güter mit der EVER GIVEN befördert werden, Schäden entstehen. Solche Güter können von Substanzschäden bis zu Vermögensschäden reichen. Um einen Substanzschaden handelt es sich, wenn eine überlange Transportdauer zu einer Beschädigung des Gutes führt. Beispiele hierfür sind eine unbeabsichtigte Reifung von Obst oder Gemüse oder die Verschlechterung von Rohstoffen durch Überlagerung im Container. Ein Vermögensschaden kann dadurch entstehen, dass ein Gut dringend benötigt wird, beispielsweise weil sonst ein Bandstillstand droht, so dass es aufgrund der Verzögerung des Seetransportes per Luftfracht zu wesentlich höheren zusätzlichen Kosten eingeflogen werden muss. Es können Verzugsschäden entstehen, liquidated damages anfallen etc.
Ob Ansprüche auf Ersatz solcher Schäden geltend gemacht werden können, hängt von einer Reihe von Faktoren ab. Zunächst wird der Transport auf einem Schiff, das tausende Container geladen hat, nicht auf der Basis eines einheitlichen Vertrags mit den Eignern oder Charterern und auf der Basis eines einheitlich anwendbaren Rechts durchgeführt. Vielmehr kann im Falle jedes einzelnen Containers von einer Vertragskette mit mehreren Beteiligten ausgegangen werden, die unter Umständen die Eigner, den Charterer EVERGREEN sowie andere große Carrier wie Cosco oder K-Line über Slot Charterverträge und dahinter mehrere Spediteure umfasst. Wer aus Sicht des den Transport in Auftrag gebenden oder die Gefahr tragenden Absenders oder Empfängers der haftende Verfrachter oder Frachtführer ist, welcher Schaden geltend gemacht werden kann und aus welcher Anspruchsgrundlage dies möglich ist, hängt von dem diesem einzelnen Containertransport zugrunde liegenden Vertrag ab.
Im Falle eines deutschem Recht unterfallenden Transport- oder Speditionsvertrages, in dem eine pauschale Vergütung für den Transport vereinbart wurde, käme im Falle einer Beschädigung des Frachtgutes ein Schadenersatzanspruch gegen den Vertragspartner in Betracht. Denn nach deutschem Seehandelsrecht haftet der Verfrachter für den Schaden, der durch Verlust oder Beschädigung des Gutes in der Zeit von der Übernahme zur Beförderung bis zur Ablieferung entsteht (§ 498 HGB). Ob ein derartiger Anspruch auch durchsetzbar ist, hängt davon ab, ob der Vertragspartner des Geschädigten nachweisen kann, dass die Umstände, auf denen die Beschädigung der Frachtgüter beruht, durch die Sorgfalt eines ordentlichen Verfrachters nicht hätte abgewendet werden können. Sollte sich herausstellen, dass die EVER GIVEN seeuntüchtig war und war die Seeuntüchtigkeit bei Beginn der Reise erkennbar, wäre eine Enthaftung nicht möglich.
Die Haftung für die anderen aus einer Verspätung resultierenden Schäden ist im Seehandelsrecht nicht geregelt. Sie richtet sich bei Anwendbarkeit deutschen Rechts nach den Regeln des BGB über den Verzug. Das erfordert zunächst, dass die Ablieferung dem Frachtführer oder Spediteur gegenüber nach dem Eintritt der Fälligkeit der Ablieferung gemahnt werden muss. Der Fälligkeitszeitpunkt ist dabei nicht mit der „ETA“ (estimated time of arrival) gleichzusetzen, die in der Regel lediglich eine unverbindliche, ungefähre Angabe darstellt. Vielmehr ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die Leistung bereits fällig ist, sofern ein Leistungszeitpunkt nicht ausnahmsweise verbindlich bei der Beauftragung des Seetransportes vereinbart wurde. Eine Mahnung, die vor dem Eintritt der Fälligkeit erfolgt, wäre unwirksam.
Entscheidend für einen Anspruch auf Schadenersatz für die Verspätungsschäden wird sowohl im Hinblick auf die Güter auf der EVER GIVEN als auch auf den anderen Schiffen die Frage des Verschuldens der Verzögerung sein. Im Falle der EVER GIVEN wird sich vor allem die Frage stellen, was Ursache für die Havarie war.
In vielen Verträgen ist die Haftung für Verspätung in den Konnossementsbedingungen ausgeschlossen. Grundsätzlich ist ein solcher Ausschluss möglich. Als AGB unterliegen die Konnossementsbedingungen im Falle der Anwendbarkeit deutschen Rechts der AGB-Kontrolle nach den §§ 305 ff. BGB, die insofern die Grenzen für eine Freizeichnung setzen. Ein kompletter Ausschluss unabhängig vom Verschuldensgrad des Verfrachters wäre danach aber z.B. unwirksam.
KAUFVERTRÄGE
Bei der Klärung der Frage, wer für die Mehrkosten und Schäden im Zusammenhang mit der Havarie aufzukommen hat, sollte allerdings zunächst das Verhältnis zwischen Käufer und Verkäufer geklärt werden. Wer den Schaden in diesem Verhältnis trägt und ihn dann eventuell vom Spediteur, Frachtführer oder Verfrachter ersetzt verlangen kann, richtet sich nach dem im Kaufvertrag vereinbarten Leistungsort und der dort vereinbarten Leistungszeit, der Gefahrtragung und der Pflicht, die Transportrisiken zu versichern.
ROBERT N. KUSS, LL.M. oec.
Fachanwalt für Internationales Wirtschaftsrecht
Fachanwalt für Transport- und Speditionsrecht
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